Uri Avnery. Frieden und Wassermelonen.

Ein desillusionierender aber völlig realistischer Kommentar von Uri Avnery, des großen alten Mannes der israelischen Friedensbewegung

Eine der interessantesten und  längsten  privaten Debatten meines Lebens führte ich mit dem großartigen Dr. Nahum Goldmann. Das Thema: Amerikanische Friedensinitiativen. Es war  natürlich eine ungleiche Debatte. Goldmann war  28 Jahre älter als ich. Während ich nur Herausgeber eines israelischen Nachrichtenmagazins war, war er eine international bekannte  Persönlichkeit, Präsident  der  zionistischen Weltorganisation und des Jüdischen Weltkongresses.

Als ich Mitte der 50er-Jahre nach einer Persönlichkeit Ausschau hielt, die vielleicht  David Ben Gurion im Amt des Ministerpräsidenten ablösen könnte, dachte ich an Goldmann.  Er hatte das notwendige  Format und war  bei moderaten Zionisten beliebt. Was nicht weniger bedeutsam war: er hatte eine klare  Meinung. Vom ersten Tag des Staates Israel an hatte er vorgeschlagen, dass Israel eine „nahöstliche Schweiz“ werden möge, neutral zwischen den USA und der Sowjetunion. Für ihn war Frieden mit den Arabern für die Zukunft Israels absolut notwendig.

Uri Avnery
Der israelische Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist war Uri Avnery war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Knesset-Abgeordneter (Foto: Wikipedia)

Ich besuchte ihn in einer luxuriösen  Suite in Jerusalems  Nobelherberge, dem King David-Hotel. Er trug einen seidenen Morgenrock, und als ich ihm meinen Vorschlag unterbreitete, antwortete er: „Schau, Uri, ich liebe ein gutes Leben. Luxus-Hotels, gutes Essen und schöne Frauen. Wenn ich Ben Gurion herausfordern würde, würde all dieses verschwinden. Seine Leute würden  mich diffamieren, wie sie es mit Dir tun.  Warum sollte ich all dies riskieren?“

Wir begannen auch eine Diskussion, die erst mit seinem Tod – etwa 27 Jahre später – endete.  Er war davon überzeugt,  die USA  wünsche zwischen uns und den Arabern  Frieden  und  eine große amerikanische Friedensbemühung sei schon in Sichtweite.

Dies war keine abstrakte Hoffnung. Er versicherte mir, dass er sich  gerade mit den höchsten Politikern getroffen habe und dass er es von den höchsten Autoritäten wüsste. Das waren Informationen aus erster amerikanischer  Hand.

Goldmann war einer, der sich regelmäßig  mit bedeutenden amerikanischen, sowjetischen und anderen politischen Persönlichkeiten traf und nie versäumte, dies in seinen Gesprächen  zu erwähnen.  Da ihm von den amtierenden US-Präsidenten, Ministern und Botschaftern  zugesichert worden sei, dass die US gerade dabei seien, den Israelis und den Arabern Frieden aufzuzwingen, sagte er mir, ich solle nur warten. „Du wirst sehen“.

Dieser Glaube  an einen aufgezwungenen amerikanischen Frieden hat die israelische Friedensbewegung jahrzehntelang  nicht losgelassen. In Erwartung des bevorstehenden Besuches von Präsident Obama in Israel im nächsten Monat hebt er noch einmal sein müdes Haupt.

Jetzt endlich wird es geschehen. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit wird Barak Obama sein Zögern, seine Ängste und Inkompetenz, die seine erste Amtszeit kennzeichneten, abschütteln. AIPAC wird nicht in der Lage sein,  ihn weiter zu terrorisieren. Ein neuer, starker und entschlossener Obama wird auftauchen und alle Köpfe an einander schlagen. Die führenden Kräfte werden mit Gewalt zum Frieden gezwungen.

Dies ist eine sehr  bequeme Überzeugung. Dies befreit uns von der Pflicht, etwas Unpopuläres zu tun und selbst etwas zu wagen. Es ist also sehr  tröstlich. Die israelische Linke ist schwach und ohne Leben? Doch  haben wir einen Verbündeten, der den Job tun wird. Wie das kleine Kind, das den Rabauken mit seinem großen, mächtigen Bruder droht.

Diese Hoffnung ist immer wieder und wieder zerborsten. US-Präsidenten kamen und gingen, jeder mit seinem Gefolge jüdischer Berater, Mitarbeiter im Weißen Haus und Außenministerium und Botschafter. Und nichts geschah.

Natürlich  hat es amerikanische Friedensinitiativen in Hülle und Fülle gegeben. Von Nixons „Rogers Plan“ über Carters Camp-David-Abkommen betreff einer palästinensischen Selbstregierung, bis zu Clintons Parameters und Bushs Roadmap gab es eine Menge davon, jede überzeugender als die vorausgegangene. Und dann kam Obama, der neue Mann, energisch und entschlossen  und  verhängte über Benjamin Netanjahu für mehrere Monate  einen Baustopp des Siedlungsbaus,  und …  nichts geschah.

Keine Friedensinitiative und keine Wassermelonen, wie wir auf Hebräisch sagen (eine aus dem Arabischen ausgeliehene Redensart). Wassermelonen haben eine sehr kurze Saison.

Langsam aber sicher begann sogar Goldmann  an der Illusion der amerikanischen Intervention zu zweifeln. Bei unseren Konversationen versuchten wir, den Code dieses Rätsels zu  brechen. Warum – um Gottes willen – taten die Amerikaner nicht, was die Logik diktierte? Warum übten sie keinen Druck auf unsere Regierung aus? Warum machten sie kein Angebot, das unsere Führer nicht ablehnen konnten? Kurzum , warum keine  effektive Friedensinitiative?

Es konnte doch nicht im amerikanischen Interesse sein,  einer Politik zu folgen, die sie zum Hassobjekt  der Massen der ganzen arabischen  und einem großen Teil der muslimischen  Welt machte? Verstanden die Amerikaner nicht, dass sie dabei waren, ihre Kunden in der arabischen Welt zu hintergehen – wie diese Regierenden nicht müde wurden,  sie bei jedem Treffen zu mahnen?

Ein  offensichtlicher Grund war die wachsende Macht der Pro-Israel-Lobby seit den frühen 50ern. AIPAC allein hat nun mehr als 200 Angestellte in sieben Büros in den USA. Fast jeder in Washington DC lebt in tödlicher Furcht vor ihr.

Die Lobby kann jeden Senator oder Kongressmann aus  seinem Amt werfen, der ihren Zorn erregt. Man sehe sich nur an, was gerade jetzt Chuck Hagel geschieht, der das Undenkbare zu sagen wagte: „Ich bin ein amerikanischer Senator und kein israelischer Senator!“

Die beiden Professoren Mearsheimer und Walt wagten es zu sagen: die pro Israel-Lobby kontrolliert die amerikanische Politik. Aber diese Theorie ist nicht ganz zufriedenstellend. Was ist mit der Spionage-Affäre rund um Jonatan Pollard, der lebenslang  in den USA im Gefängnis  bleibt trotz immensen israelischen Druckes, ihn zu entlassen?

Kann eine Weltmacht wirklich von einem kleinen ausländischen  Land  und einer mächtigen internen Lobby veranlasst werden, jahrzehntelang gegen die eigenen nationalen  Grundinteressen zu handeln?

Ein anderes Motiv, das oft erwähnt wird, ist die Macht der Rüstungsindustrie. Als ich jung war, wurde niemand mehr verachtet als die  Händler des Todes. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Länder, einschließlich Israels  sind stolz  auf den Verkauf von Waffen an die  verabscheuungswürdigsten Regime.

Die US liefern uns riesige Mengen der raffiniertesten Waffen.  Zwar werden uns viele von ihnen als Geschenk gegeben – doch ändert dies das Bild nicht.  Die Rüstungsindustrie wird von der US-Regierung  bezahlt, als eine Art öffentlichen  Arbeitsprojektes, das sogar begeistert (und besonders) von den  Republikanern unterstützt wird. Seitdem die Waffen nach Israel geliefert werden, sehen sich einige arabische Länder gezwungen, große Mengen für sich selbst  zu bestellen und sich dabei dumm und dämlich zu zahlen. Siehe Saudi Arabien!

Diese Theorie, die einmal sehr populär war, befriedigt auch nicht wirklich. Keine Industrie ist mächtig genug, eine Nation dazu zu zwingen, ein halbes Jahrhundert lang  gegen ihre eigenen Interessen zu handeln.

Dann ist da noch die „ beiden gemeinsame Geschichte“. Die USA und Israel sind sich sehr ähnlich, nicht wahr? Sie haben beide ein anderes Volk vertrieben und leugnen dies. Gibt es einen großen Unterschied zwischen  der Nakba der  amerikanischen Urbevölkerung und der palästinensischen? Zwischen den amerikanischen und zionistischen Pionieren, die in der „Wüste“ Wurzeln schlugen und eine neue Nation aufbauten? Gründen sich nicht beide auf dasselbe Alte Testament und glauben,  Gott habe ihnen  ihr Land gegeben – ob sie nun an Gott glauben oder nicht?

Imitieren unsere Siedler, die einen neuen “Wilden Osten“ in den besetzten Gebieten  schaffen, nicht den „Wilden Westen“ der amerikanischen Filme? (Vor ein paar Tagen zeigte das israelische Fernsehen einen Avri Ran, der sich selbst als „Souverän“ der  Westbank ausgab und beide terrorisierte , die Palästinenser  und die Siedler, nach Land grabschte, egal wem es gehört, der Armee sagt,  was zu tun ist, offen die israelische und andere Regierungen  verachtet und dabei ein  Multi-Millionär wird. Hollywood vom Feinsten.)

Aber all dies gilt auch für Australien (mit dem wir uns grade im Streit befinden), Kanada, Neu-Seeland und den lateinamerikanischen Nationen. Doch haben wir mit ihnen nicht dieselbe Beziehung.

Noam Chomsky, der brillante Linguist, hat eine Antwort: Israel ist nur ein Lakai des amerikanischen Imperialismus,  der in dieser Region seine Interessen vertritt. Eine Art unsinkbarer  Flugzeugträger.  Ich sehe es  nicht so. Wenn der amerikanische Hund mit dem israelischen Schwanz wedelt, so wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Weder Goldmann noch ich fanden eine befriedigende Antwort auf dieses Rätsel. Acht Monate vor seinem Tod erhielt ich von ihm völlig unerwartet einen Brief, der mich überraschte. Auf Deutsch geschrieben (das wir nie untereinander sprachen), auf seinem Briefpapier war  eine Art Entschuldigung:  Ich hätte immer recht gehabt – keine amerikanische Friedensinitiative  sollte erwartet werden; die Gründe blieben unerklärlich.

Der Brief trug das Datum vom 30.Januar 1982, fünf Monate vor Ariel Sharons blutiger Invasion in den Libanon, der im Voraus von Alexander Haig, dem  damaligen  amerikanischen Außenminister, genehmigt worden war  und  vermutlich auch vom Präsidenten Reagan.

Der Brief war eine Reaktion auf einen Artikel, den ich  ein paar Tage zuvor  in dem von mir herausgegebenen Magazin Haolam Hazeh geschrieben hatte und in dem ich fragte: „Wollen die Amerikaner wirklich Frieden?“

Goldmann schrieb:  „Auch ich stellte mir manchmal diese Frage, obschon der Mangel an staatsmännischer Klugheit der amerikanischen Außenpolitiker nicht zu unterschätzen ist. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben, dass  Amerika  Frieden will und andere Beispiele bringen, dass es keinen Frieden  will.“

Er erwähnte Amerikas Furcht,  die Sowjets drängen  in den Nahen Osten, und ihre Überzeugung,  Frieden  ohne russische Teilnahme, sei nicht möglich. Er enthüllte auch die Tatsache, dass ein russischer Diplomat   ihm gesagt hätte,  es habe ein amerikanisch-russisches  Einverständnis  gegeben, eine Friedenskonferenz in Genf  abzuhalten,  dass Moshe Dayan  aber die amerikanischen Juden aufgerufen hätte, dies zu sabotieren. Die Russen waren darüber sehr  verärgert.

Avnery with Yassir Arafat in Beirut, July 1982
Uri Avnery mit Yassir Arafat in Beirut, Juli 1982 (Foto: Wikipedia)

Während er noch viele Namen nennt, fasst er zusammen: „ Im Moment würde ich  sagen, ohne ganz sicher zu sein, dass eine Kombination der amerikanischen diplomatischen Unfähigkeit einerseits, ihrer Furcht   vor  einer Beteiligung der Russen an einem Frieden andrerseits dazu die innenpolitische Angst vor der pro-israelischen Lobby, nicht nur Juden, sondern auch Männer wie der Senator Jack Jackson u. a., die Ursachen für die völlig verständnis- und ergebnislose amerikanische Politik im Nahen Osten sind, die  Israel noch teuer zu stehen kommen wird.“

Abgesehen vom  Rückgang russischen Einflusses,  gilt jedes Wort auch heute noch, am Vorabend von Obamas Besuch –  also 31 Jahre später. Wieder hoffen viele Israelis und Palästinenser auf eine amerikanische Friedensinitiative, die auf beide Seiten Druck ausübt. Wieder leugnet der Präsident jede solche Absicht. Wieder werden die Resultate des Besuches wahrscheinlich  Enttäuschung und Verzweiflung sein. Gerade jetzt  gibt es auf dem Markt weder Wassermelonen – noch eine reale US-Friedensinitiative.
URI AVNERY

© Uri Avnery. Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Ellen Rohlfs. Mit freundlicher Genehmigung der Society for Astroa-Arab Relations (Gesellschaft der Österreichisch-Arabischen Beziehungen)

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