Vor 75 Jahren wurde die Republik Österreich vom Deutschen Reich annektiert. Der Anschluss war der Beginn einer entsetzlichen Apokalypse, an die viele Stätten in Wien noch heute erinnern. Ein Rückblick von Georg Karp

Die Apokalypse begann mit frenetischem Jubel, zackigen Aufmärschen und verführerischen Versprechen. Über eine Million Menschen, jung und alt, standen wie hypnotisiert auf dem Heldenplatz in Wien, um am 13. März 1938 den Heimkehrer Adolf Hitler frenetisch zu begrüßen, denn er versprach ihnen Arbeit, Brot und eine bessere Zukunft unter dem Hakenkreuz des Nationalsozialismus. Viele Österreicher –nicht alle – glaubten ihm und seinen Helfershelfern, viele – nicht alle – ließen sich von „ihrem” Führer verführen und zu willfährigen Statisten manipulieren und missbrauchen.
Mit einer militärischen Erpressung wurde in den Märztagen des Jahres 1938 das vollzogen, was bereits am 12. November 1918 von den deutschnationalen Parlamentariern des alten Reiches beschlossen wurde: „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.“
Der Weg in den Untergang war vorgezeichnet: Die Erste Republik befand sich in einer schweren strukturellen Wirtschaftskrise. Es gab Massenarbeitslosigkeit, Hunger, Not und Elend. Die sozialen Gegensätze brachen auf, das verschreckte Bürgertum machte mobil und liess paramilitärische Verbände aufmarschieren.
Die Christsozialen und die Sozialdemokraten waren unfähig zur Zusammenarbeit. Im März 1933 schaltete der Kanzler Engelbert Dollfuß das Parlament aus, regierte diktatorisch per Notverordnung.
Im Februar Februar 1934 schoss das Bundesheer auf Arbeiter, der Bürgerkrieg trennte die Österreicher in zwei Lager. Die Diktatur des Austrofaschismus gewann die Oberhand und bereitete so den Boden für den Nationalsozialismus vor.
Als schließlich die Regierung unter Kurt Schuschnigg am 11. März 1938 zurücktrat und sich dem Schicksal widerstandslos beugte, hatten Adolf Hitler und die österreichischen Nazis und Mitläufer das Spiel gewonnen, der Staat Österreich aber verloren.
Aus dem Rathausplatz in Wien wurde über Nacht der Adolf-Hitler-Platz, dem hysterischen Jubelschrei der verblendeten Massen folgten sieben schreckliche Jahre der Finsternis. Der nationalsozialistische Terror richtete sich mit voller Wucht gegen die run 200.000 österreichischen Juden.
Bereits in den „Anschlusstagen“ entlud sich der unterdrückte Antisemitismus mit beispielloser Aggressivität, kam es zu pogromartigen Ausschreitungen: Österreichische Nazis misshandelten und erniedrigten die jüdischen Mitbürger, plünderten deren Wohnungen und Geschäfte, steckten Synagogen und Bethäuser in Brand und kosteten in jeder erdenklichen Weisen ihren sadistischen Triumph aus.

Viele, zu viele Österreicher haben damals lachend zugesehen, geschwiegen, mitgemacht, geraubt, mit der Gestapo zusammengearbeitet und jüdische Familien denunziert. Aber es gab auch Menschen, die anders handelten, die nicht feig zusahen, wie ihre jüdischen Mitbürger erniedrigt, geschlagen und verfolgt wurden: Mindestens 1.500 „arische“ Österreicher versteckten Juden bis Kriegsende, dachten nicht an „Pflichterfüllung“, sondern setzten wie die berühmte Schauspielerin Dorothea Neff oder die Ärztin Ella Lingens ihr Leben für das anderer Mitbürger ein.
Allein mehr als 65.000 österreichische Juden wurden zwischen 1938 und 1945 in den Konzentrations- und Vernichtungslagern des Dritten Reichs ermordet. Insgesamt überlebten nur 2.000 Juden den nationalsozialistischen Holocaust.
In den sieben Jahren der Finsternis gab es auch die anderen Österreicher, die bereit waren, ihr Leben für die Freiheit ihrer Heimat zu opfern. Frauen, Männer und Jugendliche aus allen politischen und weltanschaulichen Lagern bildeten die heimliche Front gegen den Faschismus und Nationalsozialismus – Kommunisten und Sozialisten, Gewerkschafter und Priester, Arbeiter und Intellektuelle, Bauern und Beamte, enttäuschte Nazis und auch Wehrmachtsangehörige, die ihre „Pflichterfüllung“ im Widerstand gegen das Hitler-Regime sahen und nicht im Eroberungs- und Vernichtungskrieg.
Viele von ihnen haben dabei mit ihrem Leben die Lüge von der „heimgekehrten deutschen Ostmark“ widerlegt: 2.700 österreichische Patrioten wurden als Widerstandskämpfer hingerichtet; in den Konzentrationslagern wurden 16.493 Widerstandskämpfer ermordet; in den Gefängnissen der Gestapo wurden 9.687 Österreicher zu Tode gefoltert, und in den Zuchthäusern der von den Nazis überfallenen und okkupierten Ländern mussten 6.420 Österreicher sterben.
An diese Frauen und Männer, die mehr Mut hatten als die schweigende Mehrheit, erinnern heute zahlreiche Gedenkstätten in Wien: Ob Am Hof oder in der Votivkirche, ob am Morzinplatz, wo einst die Gestapo ihr mörderisches Hauptquartier hatte, oder im Wiener Landesgericht, ob in der Seitenstettengasse oder am Stephansplatz – über all sind die Spuren des Kampfes gegen Hitler und für Österreich sichtbar.
Das bekannteste Symbol Widerstandes gegen das Massenmordregime wird regelmässig erneuert – das KreidezeichenO5 neben dem Riesentor der Stephanskirche. Es wurde in der Endphase der Nazi-Apokalypse am 10. April 1945 dort angebracht. Es war das Zeichen der Widerstandsgruppe O5: das O und e, der fünfte Buchstabe des Alphabets, waren die Abkürzung für Oesterreich.
© Georg Karp
endlich mal eine anschauliche und ehrliche Beschreibung des Geschehens damals in Österreich. Sonst heisst es ja immer gerne, dass nur die anderen die Nazis und die Österreicher nur die armen Opfer der braunen Besatzer waren. Wo ist er denn aufgewachsen, der Hitler?
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